aufgelesen: franziska gerstenberg: solche geschenke
Franziska Gerstenberg macht es einem nicht einfach. Da legt sie 2004 mit „Wie viel Vögel“ ein Wahnsinnsdebüt hin, nun kommt der Nachfolger „Solche Geschenke“, ein Band mit 14 Erzählungen, man freut sich, fängt begeistert an zu lesen - und legt am Ende das Buch stirnrunzelnd wieder beiseite. Dabei stimmt alles an diesem Buch, die Geschichten sind alle mehr oder weniger rund, fein komponiert, wechseln Orte und Figuren, manchmal gibt’s einen Spannungsbogen, Dialoge kommen auch drin vor, Seelenstriptease und Innenansichten von jungen Menschen ganz viel, die Sprache ist eine eigene – handwerklich ist „Solche Geschenke“ also einwandfrei. Aber es fehlt der rote Faden, es drückt sich nicht die Dringlichkeit durch die Zeilen und springt den Leser an, so dass man sofort weiß: Ja, genau deshalb musste diese Geschichte nun so erzählt werden. So und nicht anders. Es sind Momentaufnahmen aus verschiedenen Leben, die Franziska Gerstenberg da zeichnet, rein des Zeichnens wegen, und fast bin ich geneigt, sie darin mit David Lynchs „Inland Empire“ zu vergleichen, dessen Sichtung in die Zeit meiner Lektüre fiel. Schöne Farben, schöne Menschen, schöner Ausdruck, Tiefsinn vermutlich – aber wo ist die Aussage, die Geschichte hinter den Zeilen?
Am Anfang ist da noch alles. In der ersten Erzählung „Geschenke“ etwa kämpft Kora mit Haarausfall, unter dem sie ohne ersichtlichen medizinischem oder psychosomatischem Grund leidet. Und während sie langsam anfängt, an sich und ihrem Frausein zu zweifeln, tut ihr Freund genau das Richtige, um sie wieder zurückzubringen ins Leben – ein Plädoyer für die Liebe, diese Geschichte, die allen weiblichen Zweifelnden dieses diffuse Angstgefühl kurz vor der 30 austreiben kann. In „Wellen, Surfer, Kuhglocken“ nimmt ein Aussteiger ein junges Mädchen mit nach San Sebastián, sich dauernd fragend, was ihr denn wohl Schlimmes zugestoßen sei. Sie weckt seine Vatergefühle und Beschützerinstinkte, und am Ende war alles nur gespielt, das kleine Abenteuerleben im großen der bürgerlichen Familie. Da trifft sich eine alte Clique in „Wenn wir alles so hätten“ nach einigen Jahren wieder und zeltet am See, wie früher. Doch die Leichtigkeit mit Wettschwimmen und Grillen ist nur eine vorübergehende, bevor die alten Narben und Probleme wieder hervorkommen und es fast zu einer Katastrophe kommt. Und dann, dann kommen die Geschichten, die zwar atmosphärisch dicht sind, wie die von der mal eben lesbisch gewordenen Bulimikerin (eine Verbindung, die ich für höchst bedenklich halte, das Frauenbild betreffend) oder die des Mädchens in „Kleine Dinge“, die durch Aufräumen ihrer Wohnung auch ihr Leben ordnen will, nach außen hin ohne Angst, nach innen komplexbeladen bis dorthinaus (auch bedenklich), von denen aber nicht mehr bleibt als ein Schulterzucken. Man ist hilflos ob der vielen dysfunktionalen Frauenkörper, die auch nur spiegeln, dass die Seele einen Knacks hat. Aber man bleibt hilflos und ist fast schon genervt, wenn die Frauen ihre Probleme nicht lösen können, weil man oft gar nicht begreift, warum sie die überhaupt erst haben.
Denn das ist schon auffallend anders als an der jungen Literatur der letzten zwei Jahre: Es geht nicht um die Leiden einer finanziell und moralisch verlorenen Generation Praktikum, die dann in großen Langeweile-Posen ausgestellt werden. Franziska Gerstenbergs Frauen Mitte 20 bis 30 sind nicht arbeits-, orientierungs- und beziehungslos. Sie sind nicht auf der Suche nach irgendwas. Jedenfalls nicht bewusst. Und es ist kein Einfluss von außen, der ihr Seelenheil verwirrt und sie straucheln lässt. Der wunde Punkt liegt innen, wie ein Virus, in jeder der Anti-Heldinnen ein anderer, und früher oder später bricht er auf die eine oder andere Art aus. Wir erfahren nicht, ob die Frauen am Ende wieder mehr Bodenhaftung bekommen, ob sie ihr Inneres wieder an das Außen anschließen können. Denn bei Gerstenberg spielt die Welt draußen keine Rolle, oder wenn, eine latent negative. Öffentliche Verkehrsmittel sind tricky, denn da trifft man alte, verwirrte Frauen, die sich nicht zurechtfinden, und man hilft ihnen, weil man sich irgendwie verpflichtet fühlt. Oder die Leute sind einem fremd, aber man ist in einem Raum wie dem ICE mit ihnen eingeschlossen und kann nicht fliehen, wenn es unangenehm wird, so wie die Ich-Erzählerin in der letzten Geschichte, die schon „Andere Leute“ heißt. Die Frauen bei Franziska Gerstenberg bleiben lieber nach innen gekehrt, auch wenn sie irgendwie leiden müssen, bleiben nach Möglichkeit in ihren vier Wänden, ihrer überschaubaren IKEA-Regal-Welt, zwischen dem ersten Job und dem Anruf von Muttern, oft in einer Art unbegründeter Traurigkeit. Beziehungen leben sie auch eher wie selbstverständlich nebenbei, aber sie lassen sich schon aus der Bahn werfen, wenn auch nur die Vermutung entsteht, dass der Freund fremdgeht. Es ist nicht direkt eine Lethargie, aber es ist auch kein Fortschritt darin. Sollen das die Frauen sein, die sich den Thesen einer Eva Herman entgegenstemmen? Nein, diese Frauen lässt man am besten in Ruhe. Sie sind nett, wenn man sie trifft, im Supermarkt oder im Schwimmbad. Dann kann man sich sicher das Shampoo von ihnen leihen, wenn man seins vergessen hat.
„Solche Geschenke“ von Franziska Gerstenberg ist bei Schöffling & Co. erschienen, hat 244 Seiten und kostet 18,90 €.
Diese Rezension erscheint als Hauskritik in der Juni-Ausgabe des STADTKIND hannovermagazin.
Am Anfang ist da noch alles. In der ersten Erzählung „Geschenke“ etwa kämpft Kora mit Haarausfall, unter dem sie ohne ersichtlichen medizinischem oder psychosomatischem Grund leidet. Und während sie langsam anfängt, an sich und ihrem Frausein zu zweifeln, tut ihr Freund genau das Richtige, um sie wieder zurückzubringen ins Leben – ein Plädoyer für die Liebe, diese Geschichte, die allen weiblichen Zweifelnden dieses diffuse Angstgefühl kurz vor der 30 austreiben kann. In „Wellen, Surfer, Kuhglocken“ nimmt ein Aussteiger ein junges Mädchen mit nach San Sebastián, sich dauernd fragend, was ihr denn wohl Schlimmes zugestoßen sei. Sie weckt seine Vatergefühle und Beschützerinstinkte, und am Ende war alles nur gespielt, das kleine Abenteuerleben im großen der bürgerlichen Familie. Da trifft sich eine alte Clique in „Wenn wir alles so hätten“ nach einigen Jahren wieder und zeltet am See, wie früher. Doch die Leichtigkeit mit Wettschwimmen und Grillen ist nur eine vorübergehende, bevor die alten Narben und Probleme wieder hervorkommen und es fast zu einer Katastrophe kommt. Und dann, dann kommen die Geschichten, die zwar atmosphärisch dicht sind, wie die von der mal eben lesbisch gewordenen Bulimikerin (eine Verbindung, die ich für höchst bedenklich halte, das Frauenbild betreffend) oder die des Mädchens in „Kleine Dinge“, die durch Aufräumen ihrer Wohnung auch ihr Leben ordnen will, nach außen hin ohne Angst, nach innen komplexbeladen bis dorthinaus (auch bedenklich), von denen aber nicht mehr bleibt als ein Schulterzucken. Man ist hilflos ob der vielen dysfunktionalen Frauenkörper, die auch nur spiegeln, dass die Seele einen Knacks hat. Aber man bleibt hilflos und ist fast schon genervt, wenn die Frauen ihre Probleme nicht lösen können, weil man oft gar nicht begreift, warum sie die überhaupt erst haben.
Denn das ist schon auffallend anders als an der jungen Literatur der letzten zwei Jahre: Es geht nicht um die Leiden einer finanziell und moralisch verlorenen Generation Praktikum, die dann in großen Langeweile-Posen ausgestellt werden. Franziska Gerstenbergs Frauen Mitte 20 bis 30 sind nicht arbeits-, orientierungs- und beziehungslos. Sie sind nicht auf der Suche nach irgendwas. Jedenfalls nicht bewusst. Und es ist kein Einfluss von außen, der ihr Seelenheil verwirrt und sie straucheln lässt. Der wunde Punkt liegt innen, wie ein Virus, in jeder der Anti-Heldinnen ein anderer, und früher oder später bricht er auf die eine oder andere Art aus. Wir erfahren nicht, ob die Frauen am Ende wieder mehr Bodenhaftung bekommen, ob sie ihr Inneres wieder an das Außen anschließen können. Denn bei Gerstenberg spielt die Welt draußen keine Rolle, oder wenn, eine latent negative. Öffentliche Verkehrsmittel sind tricky, denn da trifft man alte, verwirrte Frauen, die sich nicht zurechtfinden, und man hilft ihnen, weil man sich irgendwie verpflichtet fühlt. Oder die Leute sind einem fremd, aber man ist in einem Raum wie dem ICE mit ihnen eingeschlossen und kann nicht fliehen, wenn es unangenehm wird, so wie die Ich-Erzählerin in der letzten Geschichte, die schon „Andere Leute“ heißt. Die Frauen bei Franziska Gerstenberg bleiben lieber nach innen gekehrt, auch wenn sie irgendwie leiden müssen, bleiben nach Möglichkeit in ihren vier Wänden, ihrer überschaubaren IKEA-Regal-Welt, zwischen dem ersten Job und dem Anruf von Muttern, oft in einer Art unbegründeter Traurigkeit. Beziehungen leben sie auch eher wie selbstverständlich nebenbei, aber sie lassen sich schon aus der Bahn werfen, wenn auch nur die Vermutung entsteht, dass der Freund fremdgeht. Es ist nicht direkt eine Lethargie, aber es ist auch kein Fortschritt darin. Sollen das die Frauen sein, die sich den Thesen einer Eva Herman entgegenstemmen? Nein, diese Frauen lässt man am besten in Ruhe. Sie sind nett, wenn man sie trifft, im Supermarkt oder im Schwimmbad. Dann kann man sich sicher das Shampoo von ihnen leihen, wenn man seins vergessen hat.
„Solche Geschenke“ von Franziska Gerstenberg ist bei Schöffling & Co. erschienen, hat 244 Seiten und kostet 18,90 €.
Diese Rezension erscheint als Hauskritik in der Juni-Ausgabe des STADTKIND hannovermagazin.
newreads - 16. Mai, 11:47