Der "Stachel im Fleisch" – die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen
Im Stadtteil Hohenschönhausen im Berliner Osten steht die ehemalige zentrale Untersuchungshaftanstalt der DDR-Staatssicherheit (Stasi).
Zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wurden hier all jene inhaftiert, erpresst und mit teilweise schon an Folter heranreichenden Methoden verhört, die der DDR-Diktatur im Wege standen. Nach der Wiedervereinigung setzten sich ehemalige Häftlinge dafür ein, das bis dato unbekannte Gelände in eine Gedenkstätte zu verwandeln. Heute ist diese Gedenkstätte der wichtigste Erinnerungsort für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in Deutschland. Nicht jedoch für die Ex-Stasioffiziere. Die spielen die Verbrechen des DDR-Regimes immer noch herunter.
Der Gang ist unerwartet hell und breit. Die Wände sind kahl und zur Hälfte in einem gelbbeigen Farbton gestrichen, der Boden ist braun gehalten. Er soll wohl den Eindruck von Parkett oder wenigstens Laminat vermitteln. Freilich ist es kein bisschen heimelig. Der Gang ist lang. Endlos reiht sich rechts und links Zelle an Zelle. Alle paar Meter, spätestens an der nächsten Biegung, ein Gitter. Eine Reihe von Schaltern an jeder Zelle. Alles hier in der ehemaligen zentralen Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen sieht nicht viel anders aus als das Innere einer gewöhnlichen deutschen Justizvollzugsanstalt. Doch schon hier gibt es feine Unterschiede, auf die der ehemalige Häftling Michael Bradler uns bei seiner Führung aufmerksam macht: "Einen dieser Schalter an jeder Zelle konnten wir lange nicht zuordnen. Bis wir darauf kamen, dass der dazu da war, individuell das Licht in jeder Zelle zu regeln." Soll heißen: Die Inhaftierten wurden bei Bedarf vom Wachpersonal mit Schlafentzug durch Dauerbeleuchtung gequält. Oder es wurde mehrmals in der Nacht nachgesehen, ob man auch auf dem Rücken schläft und die Arme über der Zudecke hat. Wenn nicht, wurde man sofort geweckt. Und noch etwas fällt erst auf den zweiten Blick auf: Weiße Linien auf dem Fußboden vor jeder Zelle. Sie markieren in geheimer Botschaft, die wohl nur das Wachpersonal genau zu entziffern weiß, die Grenzen zwischen Bewachern und Bewachten, zwischen den Unterstützern des DDR-Regimes und dessen Feinden. Es konnte reine Willkür sein, ob ein Stasi-Beamter etwa beim Morgenappell ein Übertreten der Linie sah und daraus eine Strafe ableitete oder nicht. Beklemmend auch die Vorstellung, dass die Inhaftierten zu jeder Tages- und Nachtzeit, bevorzugt aber zur Nachtzeit, zu stundenlangen Verhören aus ihren Zellen geholt und in die kargen Vernehmungszimmer gebracht wurden. "Wenn Sie unter Schlafmangel leiden und nichts oder nur wenig zu essen bekommen, wenn Sie oft schon gar nicht mehr wissen, ob jetzt Tag oder Nacht ist, dann gestehen oder unterschreiben Sie irgendwann alles. Das ist systematische psychologische Zermürbung und grenzt schon an Folter", sagt Bradler.
Das Untersuchungsgefängnis - ein praktisch nicht existenter Ort
Weder die Häftlinge noch die Öffentlichkeit wussten, wo sie sich befanden und was da genau passierte. Auf den geographischen Karten der DDR war das Gelände der Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen nicht verzeichnet, dabei war es nach dem Gelände des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in der Normannenstraße, ebenfalls im Bezirk Lichtenberg, wo auch der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke residierte, der größte Komplex im Gebäudenetz des MfS. Der Staatssicherheitsdienst hatte das ehemalige Sperrgebiet 1951 vom sowjetischen Staatssicherheitsdienst übernommen, der im Keller im alten Gebäude, "U-Boot" genannt, auch schon verhört und gefoltert hatte. Neben dem Untersuchungsgefängnis befanden sich noch zahlreiche andere MfS-Einrichtungen auf dem Gelände, etwa ein Arbeitslager, der Operativ-Technische Sektor, der zum Beispiel falsche Pässe und Abhöranlagen fertigte, die Abteilung Bewaffnung/Chemischer Dienst oder eine Einheit, die sich mit der elektronischen Spionage im Westen beschäftigte. Außerdem verfügte der Komplex über ein Krankenhaus und eine Kantine. Die Häftlinge wurden von den anderen Stasi-Untersuchungsgefängnissen (jeder Bezirk hatte eines) oder dem Ort, an dem sie aufgegriffen wurden, in unauffälligen Lieferwagen, die umgebaut waren, nach Hohenschönhausen und zurück gebracht - oft auf Umwegen, so dass sie auch nach der Haftentlassung nicht wussten, wo sie gewesen waren, noch nicht einmal eine vage Ahnung hatten, in welchem Stadtteil Berlins sie vielleicht gewesen sein könnten. "Selbst wenn man ins Krankenhaus auf dem Gelände musste", erzählt Bradler, "wurde man in so einen Wagen verfrachtet und kreuz und quer gefahren, um Orientierung unmöglich zu machen." Dabei befand sich das Krankenhaus unmittelbar neben dem Neubau mit den Zellen und Vernehmungszimmern.
Umgang mit DDR-Erbe immer noch umstritten
Nach dem Mauerbau 1961 verschärfte sich die Situation sogar noch. Inhaftiert werden konnte praktisch jeder, der Fluchtgedanken äußerte oder einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Sogar einige unbequeme SED-Kritiker aus dem Westen waren in Hohenschönhausen inhaftiert. Viele ehemalige Häftlinge sind bis heute traumatisiert von ihren Erlebnissen in Hohenschönhausen. Einige wissen bis heute nicht genau, was ihnen eigentlich genau zur Last gelegt wurde. Größtenteils fehlen die Aufzeichnungen, die darüber und vieles andere Aufschluss geben könnten, weil die Stasi-Beamten nach dem Ende der DDR bis zur Entdeckung der geheimen Bauten genug Zeit hatten, um Akten zu vernichten. Das macht es auch schwieriger, die Grausamkeiten und die Handlungswillkür des DDR-Regimes zum Thema zu machen. Am meisten wehren sich die vielen Exoffiziere dagegen, die immer noch in der Gegend rund um das ehemalige Untersuchungsgefängnis wohnen. Sie wollen, dass die Stasi als ganz normaler Geheimdienst anerkannt wird. Auch von Seiten der Regierung ist 16 Jahre nach der Wiedervereinigung der Umgang mit der DDR-Diktatur nicht eindeutig: Wohin mit den Akten? Wie sie aufbereiten und der Öffentlichkeit zugänglich machen? Wie Themen setzen? Wie erreicht man, dass das Bild der DDR im Nachhinein nicht verklärt wird? Neben der Behörde der von der Bundesregierung Beauftragten für die Stasi-Unterlagen gibt es noch eine ebenfalls von der Regierung eingesetzte Expertenkommission, die dafür sorgen soll, dass Alltag und Politik mit Hilfe staatlicher Finanzierung gleichberechtigt dargestellt werden. Mit Begriffen wie "Fürsorgediktakur" erliegt diese Expertenkommission aber selbst einer Weichzeichnung der DDR, wie Kritiker vorbringen. Auch Dr. Hubertus Knabe, Leiter der Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen, sieht das kritisch. Denn er kämpft schon seit Jahren für die Anerkennung der Stasi-Verbrechen.
Kerstin Fritzsche, Goethe-Institut
zuerst erschienen im Oktober 2006 auf www.goethe.de
Interview mit Dr. Hubertus Knabe
mehr:
Adventures in Stasiland - Interview mit Anna Funder
deutsche Rezensionen zu "Stasiland"
Zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wurden hier all jene inhaftiert, erpresst und mit teilweise schon an Folter heranreichenden Methoden verhört, die der DDR-Diktatur im Wege standen. Nach der Wiedervereinigung setzten sich ehemalige Häftlinge dafür ein, das bis dato unbekannte Gelände in eine Gedenkstätte zu verwandeln. Heute ist diese Gedenkstätte der wichtigste Erinnerungsort für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in Deutschland. Nicht jedoch für die Ex-Stasioffiziere. Die spielen die Verbrechen des DDR-Regimes immer noch herunter.
Der Gang ist unerwartet hell und breit. Die Wände sind kahl und zur Hälfte in einem gelbbeigen Farbton gestrichen, der Boden ist braun gehalten. Er soll wohl den Eindruck von Parkett oder wenigstens Laminat vermitteln. Freilich ist es kein bisschen heimelig. Der Gang ist lang. Endlos reiht sich rechts und links Zelle an Zelle. Alle paar Meter, spätestens an der nächsten Biegung, ein Gitter. Eine Reihe von Schaltern an jeder Zelle. Alles hier in der ehemaligen zentralen Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen sieht nicht viel anders aus als das Innere einer gewöhnlichen deutschen Justizvollzugsanstalt. Doch schon hier gibt es feine Unterschiede, auf die der ehemalige Häftling Michael Bradler uns bei seiner Führung aufmerksam macht: "Einen dieser Schalter an jeder Zelle konnten wir lange nicht zuordnen. Bis wir darauf kamen, dass der dazu da war, individuell das Licht in jeder Zelle zu regeln." Soll heißen: Die Inhaftierten wurden bei Bedarf vom Wachpersonal mit Schlafentzug durch Dauerbeleuchtung gequält. Oder es wurde mehrmals in der Nacht nachgesehen, ob man auch auf dem Rücken schläft und die Arme über der Zudecke hat. Wenn nicht, wurde man sofort geweckt. Und noch etwas fällt erst auf den zweiten Blick auf: Weiße Linien auf dem Fußboden vor jeder Zelle. Sie markieren in geheimer Botschaft, die wohl nur das Wachpersonal genau zu entziffern weiß, die Grenzen zwischen Bewachern und Bewachten, zwischen den Unterstützern des DDR-Regimes und dessen Feinden. Es konnte reine Willkür sein, ob ein Stasi-Beamter etwa beim Morgenappell ein Übertreten der Linie sah und daraus eine Strafe ableitete oder nicht. Beklemmend auch die Vorstellung, dass die Inhaftierten zu jeder Tages- und Nachtzeit, bevorzugt aber zur Nachtzeit, zu stundenlangen Verhören aus ihren Zellen geholt und in die kargen Vernehmungszimmer gebracht wurden. "Wenn Sie unter Schlafmangel leiden und nichts oder nur wenig zu essen bekommen, wenn Sie oft schon gar nicht mehr wissen, ob jetzt Tag oder Nacht ist, dann gestehen oder unterschreiben Sie irgendwann alles. Das ist systematische psychologische Zermürbung und grenzt schon an Folter", sagt Bradler.
Das Untersuchungsgefängnis - ein praktisch nicht existenter Ort
Weder die Häftlinge noch die Öffentlichkeit wussten, wo sie sich befanden und was da genau passierte. Auf den geographischen Karten der DDR war das Gelände der Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen nicht verzeichnet, dabei war es nach dem Gelände des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in der Normannenstraße, ebenfalls im Bezirk Lichtenberg, wo auch der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke residierte, der größte Komplex im Gebäudenetz des MfS. Der Staatssicherheitsdienst hatte das ehemalige Sperrgebiet 1951 vom sowjetischen Staatssicherheitsdienst übernommen, der im Keller im alten Gebäude, "U-Boot" genannt, auch schon verhört und gefoltert hatte. Neben dem Untersuchungsgefängnis befanden sich noch zahlreiche andere MfS-Einrichtungen auf dem Gelände, etwa ein Arbeitslager, der Operativ-Technische Sektor, der zum Beispiel falsche Pässe und Abhöranlagen fertigte, die Abteilung Bewaffnung/Chemischer Dienst oder eine Einheit, die sich mit der elektronischen Spionage im Westen beschäftigte. Außerdem verfügte der Komplex über ein Krankenhaus und eine Kantine. Die Häftlinge wurden von den anderen Stasi-Untersuchungsgefängnissen (jeder Bezirk hatte eines) oder dem Ort, an dem sie aufgegriffen wurden, in unauffälligen Lieferwagen, die umgebaut waren, nach Hohenschönhausen und zurück gebracht - oft auf Umwegen, so dass sie auch nach der Haftentlassung nicht wussten, wo sie gewesen waren, noch nicht einmal eine vage Ahnung hatten, in welchem Stadtteil Berlins sie vielleicht gewesen sein könnten. "Selbst wenn man ins Krankenhaus auf dem Gelände musste", erzählt Bradler, "wurde man in so einen Wagen verfrachtet und kreuz und quer gefahren, um Orientierung unmöglich zu machen." Dabei befand sich das Krankenhaus unmittelbar neben dem Neubau mit den Zellen und Vernehmungszimmern.
Umgang mit DDR-Erbe immer noch umstritten
Nach dem Mauerbau 1961 verschärfte sich die Situation sogar noch. Inhaftiert werden konnte praktisch jeder, der Fluchtgedanken äußerte oder einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Sogar einige unbequeme SED-Kritiker aus dem Westen waren in Hohenschönhausen inhaftiert. Viele ehemalige Häftlinge sind bis heute traumatisiert von ihren Erlebnissen in Hohenschönhausen. Einige wissen bis heute nicht genau, was ihnen eigentlich genau zur Last gelegt wurde. Größtenteils fehlen die Aufzeichnungen, die darüber und vieles andere Aufschluss geben könnten, weil die Stasi-Beamten nach dem Ende der DDR bis zur Entdeckung der geheimen Bauten genug Zeit hatten, um Akten zu vernichten. Das macht es auch schwieriger, die Grausamkeiten und die Handlungswillkür des DDR-Regimes zum Thema zu machen. Am meisten wehren sich die vielen Exoffiziere dagegen, die immer noch in der Gegend rund um das ehemalige Untersuchungsgefängnis wohnen. Sie wollen, dass die Stasi als ganz normaler Geheimdienst anerkannt wird. Auch von Seiten der Regierung ist 16 Jahre nach der Wiedervereinigung der Umgang mit der DDR-Diktatur nicht eindeutig: Wohin mit den Akten? Wie sie aufbereiten und der Öffentlichkeit zugänglich machen? Wie Themen setzen? Wie erreicht man, dass das Bild der DDR im Nachhinein nicht verklärt wird? Neben der Behörde der von der Bundesregierung Beauftragten für die Stasi-Unterlagen gibt es noch eine ebenfalls von der Regierung eingesetzte Expertenkommission, die dafür sorgen soll, dass Alltag und Politik mit Hilfe staatlicher Finanzierung gleichberechtigt dargestellt werden. Mit Begriffen wie "Fürsorgediktakur" erliegt diese Expertenkommission aber selbst einer Weichzeichnung der DDR, wie Kritiker vorbringen. Auch Dr. Hubertus Knabe, Leiter der Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen, sieht das kritisch. Denn er kämpft schon seit Jahren für die Anerkennung der Stasi-Verbrechen.
Kerstin Fritzsche, Goethe-Institut
zuerst erschienen im Oktober 2006 auf www.goethe.de
Interview mit Dr. Hubertus Knabe
mehr:
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deutsche Rezensionen zu "Stasiland"
newreads - 10. Dez, 15:32