Dienstag, 20. Februar 2007

Jeunesse dorée

Als Benjamin Berton im Jahr 2000 in seinem Heimatland Frankreich seinen ersten Roman „Wildlinge“ (auf deutsch 2005) vorlegte, war er sofort von 0 auf 100 der neue Jungstar am französischen Literaturhimmel. „Sauvageons“ - so der Originaltitel - wurde mit dem „Prix Goncourt du Premier Roman“ ausgezeichnet – dem höchsten Literaturpreis, den man als Nachwuchsschriftsteller in Frankreich kriegen kann.

Zum einen lag das am Stoff: Der zu diesem Zeitpunkt 25-jährige Berton wob aus den Erlebnissen seiner Protagonisten Mémé, Frantz und Kamel mit Frauen, Fußball, Arbeitslosigkeit und Langeweile nicht nur ein zeitnahes, atemloses Porträt der französischen unterprivilegierten Jugend in der Provinz, sondern er übte auch indirekt Gesellschaftskritik.

Zum anderen lag der Erfolg des Buches sicherlich am Timing: Zu gleicher Zeit kamen auch die französischen Skandalautoren aus den Generationen vor Berton in Mode: Virginie Despentes mit „Fick mich“, „Das sexuelle Leben“ der Catherine Millet, Christine Angot mit „Inzest“ und „Die Stadt verlassen“ sowie Frédéric Beigbeders „39,90“.

Anführer der Schockliga
Der heimliche Anführer dieser Schockliga, Michel Houellebecq, hatte 2000 bereits zwei diskussionswürdige bis skandalträchtige Bücher veröffentlicht: „Ausweitung der Kampfzone“ und „Elementarteilchen“. Kurz darauf stand er kurz davor, sein noch heißer diskutiertes „Plattform“, in dem es um Sextourismus geht, zu veröffentlichen. Gute Zeiten für Frankreichs prestigeträchtiges Verlagshaus Gallimard, auch das Zweitwerk ihres erfolgreichen jungen Autors nachzuschieben. So erschien bereits 2001 – fast zeitgleich mit „Plattform“ - Bertons neuer Roman „Classe Affaires“.

Unter dem Titel „Am Pool“ ist dieser nun, wie zuvor schon „Wildlinge“, bei DuMont auf Deutsch erschienen. Der hoffnungslosen Jugend als Thema ist Berton treu geblieben. Nur zieht er seine Geschichte nun von der genau entgegen gesetzten Seite auf: Im Mittelpunkt steht diesmal eine Clique aufstrebender, wohlhabender Nachwuchs-Führungskräfte Mitte 20. Perspektivischer Ausgangspunkt ist dabei Eléonore Caribou, eine 26-jährige Finanzconsulting-Frau, die nach dem einen Jahr, das sie bereits bei einer renommierten Pariser Agentur arbeitet, endlich ein paar Tage Urlaub machen will.

Denn der Druck innerhalb der Elite des ersten Arbeitsmarktes in der französischen Hauptstadt ist hart: 13 Stunden am Tag arbeiten, und „nur die Schwächsten sehen dabei fertig aus“. Eléonore will natürlich nicht zu den Schwächsten gehören. Deshalb nimmt sie gerne die Einladung ihres Ex-Freundes an, runter an die Côte d’Azur zu kommen, um mit ihm und noch ein paar anderen jungen Reichen und Schönen in der elterlichen Villa mit Swimmingpool zu relaxen.

Zehn Gramm Scheuerpulver im Drink

Recht schnell wird klar, dass diese Clique mit so viel plötzlicher Freizeit nicht recht umzugehen weiß. Obwohl man sich nicht kennt, redet man lieber über die Arbeit, wann bei wem zuletzt die Klimaanlage ausgefallen ist, wie viel Überstunden man so monatlich ansammelt und wo man zuletzt zwischen zwei Dienstreisen oder Inlandsflügen den besten Kaffee getrunken hat.

Alle sind irgendwie von sich überzeugt und davon, den anderen etwas voraus zu haben. Innerlich werden sie fast zerfressen von ihren Selbstzweifeln und ihrer Unsicherheit: Die Mädchen denken daran, ob die schmerzhafte, langwierige Epililepirerei auch gut genug zur Geltung kommt, der Bauchansatz nicht auffällt und wie wohl die Chancen bei den Jungs so sind.

Die Jungs haben im Kopf, ob sie auch ausreichend „zufällige“ Hautkontakte mit dem weiblichen Teil der Clique haben oder ob ihre Muskeln am Pool und beim Cocktailmixen richtig zur Geltung kommen. Eléonore projiziert ihre Unzufriedenheit und sexuelle Frustration auf Juliens neue Freundin Sylvie, die dieser zu heiraten beabsichtigt. Sie versucht sogar, durch das Mixen von 10 Gramm Scheuerpulver in Sylvies Drink diese umzubringen. Einfach so.

Fragwürdige Elite

Ebenfalls einfach so, weniger aus echtem politischem Interesse, schaut sich ein Teil der Upper-Class-Twens die Kundgebung einer rechtspopulistischen Partei im Nachbarort an. Als ein paar Autonome und Araber die Veranstaltung stören, geraten sie zwischen die Fronten und ergreifen mal so, mal so Partei. Eine eigene Haltung zu den Dingen des Lebens fehlt hier wie überall. Als nächstes besucht man eine Disko und gibt sich unter Drogeneinfluss dem einen oder anderen sexuellen Kontakt hin.

Wer bis hierhin gekommen ist mit dem Lesen, hat schon ein paar Mal herzhaft gegähnt. Denn im Gegensatz zu Bertons Debüt ist dieses Buch nur mäßig spannend und hat seine Längen. Die harte Sprache, gerade wenn es um Sex geht, und das etwas brutale Ende, mit dem Berton eine moralische Aussage treffen will, machen es nicht besser. Es bleibt eine große Leere und der Gedanke, dass es so etwas, solche Leute, doch nicht wirklich gibt. Als wäre die Ich-Erzählerin aus Francoise Sagans „Bonjour Tristesse“ auf Bret Easton Ellis’ dekadente Antihelden getroffen.

Er wollte eine Generation porträtieren, „die noch schlimmer ist als die Generation vor ihr, die mehr oder weniger Opfer einen 68er-Gegenrevolution geworden ist“, hat Berton nach Erscheinen von „Am Pool“ in Frankreich gegenüber einem Internet-Kulturmagazin erklärt. „Diese Elite um die 30“, so Berton weiter, „diese Typen, sind bereit, Tag und Nacht zu arbeiten und auf jede Form von sozialem Leben und auf individuelle Entwicklung zu verzichten, und damit meine ich nicht, dass man im kulturellen Freizeitfeld die Wahl zwischen ‚Télérama’ und ‚Les Inrockuptibles’ (zwei der führenden französischen kulturellen Zeitschriften) hat, um ein Ideal zu verfolgen, das man noch nicht einmal selbst gewählt hat. Diese Generation hat diese entspannte Fassade um sich errichtet, weil sie sonst den ganzen Dreck auf der Arbeit nicht übernehmen könnte. Ihre soziale Funktion hingegen kann sie nicht übernehmen und ausüben, obwohl sie alle als Studenten auf den Grandes Ecoles waren. Also haben sie diese sehr jugendliche Persönlichkeit, weil ihre Strukturen und Lebensumstände alles andere als stabil sind.“

Dies in einem Roman zu beschreiben, war ein schönes Ziel, nur genau so wie Bertons Figuren ihre individuelle Entwicklung verfehlen, verfehlt der Autor leider die des Stoffes. Littérature dorée.

Benjamin Berton: Am Pool. DuMont, Köln 2006. 267 S., 19,90 €.



Diese Rezension erschien zuerst auf fluter.de und in der Berliner Literaturkritik

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