aufgelesen: katja huber: reise nach njetowa

Katja Huber ist eine der Autorinnen, bei der man nicht genau weiß, ob man sie noch als „Geheimtipp“ anpreisen darf, ohne sich dadurch lächerlich zu machen.

Denn im „etablierten Kulturbetrieb“ hat sie es schon recht weit gebracht: Sie arbeitet fest im „Zündfunk“-Team des Bayerischen Rundfunks, hat bereits mehrere Hörspiele bei den Öffentlich-Rechtlichen produziert, 2005 ihren ersten, erfolgreichen Roman „Fernwärme“ veröffentlicht, war letztes Jahr für den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb nominiert und bekam einen der Bayerischen Staatsförderpreise für Literatur.

Und trotzdem ist Katja Huber angenehm Underground geblieben, wird nicht ständig herumgereicht in allen on- und offline-Postillen von „jetzt.de“ bis „Monopol“, hat keinen Blog oder eine anstrengende Popkultur-Attitüde wie einige männliche Kollegen ihres Alters und veröffentlicht ihr zweites Buch „Reise nach Njetowa“ nicht gleich bei Rowohlt, sondern wieder beim kleinen, unabhängigen Münchner P.Kirchheim-Verlag.

Auch ihr Schreiben ist weder Nabelschau, noch will es auf Teufel komm raus das große Ganze erzählen, nein, hier schreibt einfach jemand mit einem bombastischen politisch-historischen Hintergrundwissen eine Geschichte um der Geschichte Willen. Zart, leise und gut komponiert. Nämlich die Geschichte von Tanja, die nach St. Petersburg fliegt, um einen Reiseführer zu schreiben. Nicht einen touristischen, sondern ihr „geht’s um Geschichten, die noch nicht erzählt sind“. Nicht ein Wort schreibt sie. Denn Tanja verliebt sich, beginnt eine Affäre, und muss schmerzlich feststellen, wie ungesund diese Affäre für sie ist. Sie wird erinnert, dass sie doch auf der Suche war: auf der Suche nach ihrem Vater, den sie nie kennen lernte, weil er sich früh aus dem Staub machte. Verdrängung hat das zur Folge, und darin liegt einerseits die Stärke des Buches: im Spiel zwischen Wahn und Wirklichkeit, Erinnerung und Vergessen.

Den anderen Reiz machen die kleinen Geschichten in der großen Geschichte aus, die netten Einfälle, die Hubers zweites Werk so sympathisch machen. Etwa die Geschichte, wie die junge Tanja sich als Vorleserin für AutofahrerInnen betätigt. Wird sie vom Straßenrand aufgepickt, wählt sie nach kurzer Musterung des Fahrers oder der Fahrerin intuitiv ein Buch und liest für eine bestimmte Zeit vor – bis eine Fahrerin, die sie sogar einen ganzen Sommer begleitet, sich in sie verliebt. Auch wenn Tanja deren geschenktes Herz nicht annimmt, die Liebe zu Russland nimmt sie von der Sommer-Fahrerin an, weil „ihr Leben im Westen nur noch ein Überleben war.“

Vielleicht auch, weil diese Frau Tanja erstmals eine Identität gibt: Tanja soll sie mit dem Namen ihres Vaters anreden, Anja Güntherowa, wodurch Tanja automatisch „Tanja Nwetowa“ wird: von nichts abstammend, weil keiner da ist.
Dank dieser Anja wird Tanjas Liebesgeschichte mit Russland also eine heiße und innige. Aus dem ungemütlichen, vaterlosen Deutschland flieht Tanja gerne in die offenen Arme des Post-Kommunismus. Dort verwechselt sie wodkareiche Nächte, nette Kaffeehausaufenthalte und Gespräche über Literatur mit einer nichts fordernden, nur auf sich selbst beruhenden Freundlichkeit, aber sie findet auch echte Freunde und eben die Liebe – ohne zu ahnen, dass dieses gebrochene Land auf der Suche nach sich selbst alles andere als vaterlos ist. Und so ist vorprogrammiert, dass sie die Liebe wieder verliert. Der Reiseführer wird natürlich nie fertig, noch nicht mal ein Wort hat sie geschrieben. Tanja flieht, landet in Moskau.
Im zweiten Teil des Buches ist sie wieder zurück in St. Petersburg, mittellos, was auch durchaus auf ihre Gefühlslage zu übertragen ist. Unter anderem Vorzeichen wiederholt sich ihre Geschichte: wieder hat sie eine gute Zeit, ohne wirklich voranzukommen, wieder verliebt sich eine Frau in sie und Tanja sich in einen älteren Mann, der ihr Vater sein könnte; das Ganze geht unglücklich aus.

Doch am Ende steht eine Erkenntnis, die eine Erkenntnis. Ein neues Leben in Deutschland dürfte nun möglich sein.
Katja Huber, die studierte Slawistin und Russland-Kennerin, hat keinen politischen Roman geschrieben. Und keinen Roman über eine „verlorene Generation“. Das kann man schon allein wegen der lyrischen Einsprengsel und der Ausflüge in die russische Literaturgeschichte nicht sagen. Aber zwischen den Zeilen transportiert sich viel über das aktuelle Russland. Das verdeutlicht sich etwa an der Figur der Zimmervermieterin Sofija, bei der Tanja einige Zeit wohnt. Diese wartet auf die Rückkehr ihres Sohnes, von dem man nicht genau weiß, ob es ihn noch gibt, und verliert sich in Literatur, weil weder über das Private, noch über die Tagespolitik geredet werden kann und man die Lebensträume eh nicht mehr erreicht. Das Private ist politisch. Was bleibt ist das Gedankenexil. Auch bei Natascha, Tanjas Zimmergenossin später in St. Petersburg, die einen spanischen Freund erfindet, weil sie Vater und Freunden nicht sagen kann, dass sie Frauen begehrt. Und schließlich auch bei Tanja, die zwischen globalen Clubausstattungen und Latte Macchiato ständig das „typisch Russische“ sucht, obwohl sie mit ihrem Verdrängen und ihrem inneren Exil wohl die „russischste“ Seele von allen hat.

Katja Huber: Reise nach Njetowa. P.Kirchheim Verlag, 192 Seiten, 19,90 Euro.

Dieser Beitrag erschien zuerst im STADTKIND hannovermagazin.

Weichenstellungen: Der Ausverkauf der Deutschen Bahn AG. Ein Film kämpft gegen die Privatisierung

Die Deutsche Bahn ist immer gut für einen schlechten Witz. Und klar, wer hat sich nicht schon geärgert über verspätete Züge? Für viele erscheint da eine Privatisierung die rettende Idee: Der Bund verkauft seine Bahn, macht dabei Gewinn – und alles wird schlagartig besser, weil mehr Wettbewerb die Serviceorientierung fördert. Post und Telekom wurden ja auch schon recycelt – mäßig erfolgreich, aber wir Bürger/innen sind auf sie angewiesen. Beim Prestigeobjekt Bahn AG steckt noch viel mehr dahinter: "Bahn unterm Hammer" von Herdolor Lorenz und Leslie Franke zeigt, dass das Schienennetzwerk als Infrastruktur für Investoren besonders interessant ist. Dass das Unternehmenskapital der Bahn AG in Wirklichkeit viel höher ist als offiziell veranschlagt, weil Zuschüsse aus öffentlicher Hand in den Bilanzen nicht auftauchen und daher ein Verkauf "für einen Appel und ein Ei" stattfinden würde. Dass die Bahn bereits heftig auf Privatisierungskurs ist, weil sie jährlich 500 unlukrative Schienenkilometer vom Netz nimmt, marode Gleise kaum noch wartet und 30 bis 50 Bahnhöfe schließt. Nicht der Kunde ist König, sondern das Geld.

Zu heiß fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen?

Eigentlich war "Bahn unterm Hammer" als Fernsehdokumentation für den NDR geplant. Der Sender hatte, wie bereits zuvor für einen Film über die Privatisierung der Trinkwasserversorgung, die Hälfte des Geldes für den Film zugesagt. Dann aber erntete der Wasser-Film Kritik von Seiten der Wirtschaft – und der NDR zog die Finanzierung wieder zurück. Somit gab es auch kein Geld mehr von der Filmförderung Schleswig-Holstein, zuständig für die übrige Hälfte. Denn die Vergabe von Fördergeldern ist an eine Beteiligung eines Senders gebunden. Da Leslie Franke den Film unbedingt fertig stellen wollte, beschloss sie kurzerhand nach einem Vorbild aus den USA, die 60.000 Euro für die Realisierung des Films "von unten", durch Spenden, zusammenzubekommen. Die Spendenhöhe differenzierte; ab 20 Euro gab's eine DVD. Das hat geklappt, denn jetzt ist der Film fertig.


Manipulation durch Montage

Zuschauerfreundlich ist der Konsum des Films nicht, hin und her gesprungen wird zwischen Menschen und Orten im In- und Ausland sowie zwischen den einzelnen Aspekten zum Thema Privatisierung. Gerade begleiten wir auf der letzten Fahrt einen Intercity auf der Strecke Nürnberg-Dresden, die Ende 2006 eingestellt wurde. "Nie mehr Fernverkehr!", singen da junge Aktivisten von Pro Bahn e.V. Schnitt, kontrastiert wird diese Szene dann mit der Eröffnung der ICE-Strecke München-Nürnberg, die die beiden Metropolen bei durchschnittlich 290 km/h um 40 Minuten schneller verbindet als zuvor – und die mehr gekostet hat, als ursprünglich veranschlagt wurde. Plötzlich ein Sprung nach Großbritannien, wo uns erklärt wird, was die Privatisierung der Bahn 1995 dort alles für Schäden angerichtet hat.

Nächste Stationen sind etwa die zahlreichen Regionen, in denen bereits sowohl Personen- als auch Gütertransport teilweise privatisiert wurden. Hier funktionieren die Neuerungen mal gut, siehe die Usedomer Bäder-Bahn, mal schlecht, siehe volle Autobahnen, auf die der nicht so rentable Stückgutverkehr ausgelagert wird. Schwupps, sind wir in der Schweiz, hier klappt alles super mit der Bahn – aber die Schweiz ist neunmal kleiner als Deutschland; im Alpenland hat das Volk per Referendum selbst für den Erhalt der Bahn in öffentlicher Hand entschieden.

Bimmelbahn und Pendlereinsamkeit

Man sehnt sich nach einem roten Faden, am besten in Form einer kommentierenden Stimme. Dass so viele verschiedene Verkehrsexperten und Promis wie Thilo Sarrazin, Finanzsenator von Berlin, Frank Bsirske, Ver.di-Vorstand, Jürgen Peters, IG-Metall-Vorsitzender, oder Oskar Lafontaine auftauchen, soll die Sache authentischer und wichtiger machen, verwirrt aber. Wo sind die Interviews mit Langstrecken-Berufspendlern, mit Vertretern der Bahn-Tochterunternehmen oder mit Mehdorn und dem Bahn-Management selbst?


Kritisieren lässt sich viel am Film: Am Anfang etwa wird, noch bevor ein Wort gesprochen wurde, eine Szene am Berliner neuen Hauptbahnhof mit einer Anzeigetafel "der ICE hat 25 Minuten Verspätung" mit Werbeplakaten eines Telefonanbieters gegengeschnitten, auf denen zu lesen ist: "Wann waren Sie zuletzt pünktlich zu Hause?" Und ob der DB-Mitarbeiter, der am Schalter in Kassel-Witzenhausen von einem Kunden in ein Gespräch verwickelt wurde und sich dabei zu der Aussage: "Das ist so bei uns: Erst wird tapeziert und angestrichen; und dann wird alles abgerissen" hinreißen ließ, vorher informiert wurde, dass er als Zeuge der Anklage in einem Dokumentarfilm auftritt? Ein Kreisabgeordneter der oppositionellen GRÜNEN dagegen gibt natürlich gerne ein Statement ab, den muss man wahrscheinlich nicht lange fragen.

Wenn der Vorwurf lautete, der NDR habe sich von der Wirtschaft unter Druck setzen lassen, die Finanzierung von "Bahn unterm Hammer" zurückzuziehen, so kann dieser Vorwurf auch umgekehrt gelten: Die Macher/innen des Films sind zu nah dran an den Tendenzen der Antiglobalisierungsorganisationen. Ein wenig bedenklich, dass der Film von Robin Wood mitfinanziert wurde und ein Vertreter der Organisation dann seine dreiminütige Plattform bekommt, um das Thema Klimaschutz und CO²-Ausstoß auch noch zu verhandeln.

Das Dilemma der Wirtschaftlichkeit

Der NDR hat gut daran getan, die Finanzierung dieses Films zurückzuziehen. Sicherlich hat er als öffentlich-rechtlicher Sender die Pflicht, zu informieren und aufzuklären. Aber gerade, weil der NDR ebenfalls eine von den Steuerzahlern/innen finanzierte Institution ist, wird er sich wohl kaum dem Angriff aussetzen, in einseitiger Sicht von den Problemen eines Unternehmens zu berichten, um von den eigenen abzulenken. Denn zufällig beschäftigen das öffentlich-rechtliche Fernsehen genau die gleichen Fragen wie die Deutsche Bahn: Grundversorgung oder Profitmaximierung? Gutes Betriebsklima oder Stellenabbau für mehr Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb? Gründung von Sub-Unternehmen oder Einkauf der Leistung von außen?

Trotzdem ist der Film wichtig. Erstens, weil er sein Ziel, die Privatisierung der Bahn in Frage zu stellen, erfüllt. Und zweitens, weil er einen Weg zeigt, wie die vermeintlich politikverdrossenen und geizigen Deutschen sich doch einer Mitbestimmung von unten öffnen – wenn es schon kein Referendum über die Zukunft der Bahn geben kann wie in der Schweiz.



"Bahn unterm Hammer - Unternehmen Zukunft oder Crashfahrt auf den Prellbock?" von Herdolor Lorenz und Leslie Franke ist circa 75 Minuten lang, wird gerade mit Hilfe von attac in vielen Großstädten in die Kinos gebracht oder kann über die Produktionsfirma unter www.kernfilm.de bezogen werden.

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