Wolken wie Turnschuhe

Heute morgen machte ich den Kleiderschrank auf, und mein Engel stand vor mir.
"Ach", sagte ich, "da bist du also." "Ja", sagte der Engel, "da bin ich also." Er stieg aus dem sargartigen Holzkörper und klopfte sich Staub von der Schulter.
"Ich dachte, du wärst im Himmel über Berlin", sagte ich. "Nein", sagte der Engel und ging in die Küche, wo er es sich gemütlich machte. "Da hatte ich nur eine Gastrolle." Ich folgte ihm und machte Kaffee.
"Du bist nicht überrascht?" fragte er. "Nein, eigentlich nicht", meinte ich nach kurzem Nachdenken und schenkte Kaffee nach. "Aha."
Er sah sich um, so als wäre er nie weg gewesen, als hätte er das Recht, mit einem besitzstolzen Blick um sich zu gucken, wie nur langjährige Mitbewohner es tun können, um einen zu entlarven und laut herausplatzen zu dürfen, wenn man unerlaubt einen Gegenstand von ihnen benutzt. Ich wartete schon auf den Satz: "Äh, die Küchenreibe da ist aber noch von mir!". Ich fragte mich gerade, wie alt er denn wohl sein möge, da beantwortete er die Frage schon selbst. "So alt, wie du dich nie zu sein traust." Ich runzelte die Stirn und konzentrierte mich auf die Kaffeetasse. Es war kurz nach acht, in einer halben Stunde mußte ich zur Uni.
"Ich hab dich mir anders vorgestellt," sagte ich. "Ich weiß", sagte er. War er nun männlich oder weiblich?
"Lenkt dich das nicht ab?" fragte er nach einer Weile. "Was?" "Das In-den-Kaffee-Starren. Du kannst dich ruhig unbefangen mit mir unterhalten. Dazu bin ich ja da." "Ah so", sagte ich, und wußte nicht, was er meinte. Ich redete morgens um acht ohnehin nicht gerne, mit niemandem, auch nicht mit einem, meinem, Engel. Auch nicht mit der Kaffeetasse, auch wenn das vielleicht gerade so aussah.
froschplueschfleisch"Willst du vielleicht ein Toast?" fragte ich, weil ich nichts Persönliches sagen wollte. "Wir essen nicht", sagte er. "Ist nicht nötig. Willst du mich denn nichts fragen?" "Ich weiß nicht, was," meinte ich. "Verstehe," sagte er mit Kennerblick. "Na gut."
Er machte eine weit ausholende Geste mit dem rechten Arm. "Sieh' dich um!" Ich sah mich um. "Und was siehst du?" "Naja, 'ne Küche halt. Studentenbude, nichts Besonderes, hm!?" meinte ich etwas unbeholfen und sah ihn ratlos an. "Ja, das hab' ich mir gedacht!" entgegnete er und grinste mich breit an.
Was kam jetzt? Das Geheimnis der Küchen? Womöglich das Geheimnis der himmlischen Küchen im Vergleich zu den irdischen?
"Es ist alles so banal,..." sagte mein Engel auf einmal mit fast weinerlicher Stimme. "Genau, sag ich ja, alles so banal hier," unterbrach ich ihn. "Nein, nicht die Küche", sagte er, "mit euch Menschen."
"Was soll das denn jetzt?" fragte ich ihn. "Eine Belehrung von wegen 'Ich sehe was, was du nicht siehst, aber du solltest es sehen'?" Ich hatte schon keine Lust mehr. Klar hatte ich mir das nicht einfach vorgestellt mit einem Engel. Aber dieser hier war eindeutig gerade dabei, zu nerven. Noch so ein moralischer und... "Okay, lassen wir das. Ich mag keine geliehenen Floskeln", meinte der Engel schließlich seufzend. Eine halbe Minute etwa sahen wir uns schweigend an.
"Tja also, ich müßte dann mal ins Bad und äh.... in 15 Minuten den Bus..." sagte ich und erhob mich langsam, zweifelnd, ob er jetzt sauer sein würde. Keine Regung.
"Bessere Welten?" murmelte er undeutlich vor sich hin, als ich schon fast die Tür erreicht hatte. "Weißt du, das Quietschen meiner Turnschuhe hier auf diesem Boden klingt genauso wie das Aneinanderschlagen von Wolken." Der Engel hob den Kopf. Sein Blick war fast starr, unwirklich, zwischen Wahnsinn und Frohlocken verhaftet. Ich wußte nicht, wie ich das nun wieder deuten sollte. Mit fragendem Blick blieb ich im Türrahmen stehen und sah ihn an.
"Die Stille!" rief er auf einmal und warf den Kopf in den Nacken. "Ja, genau, die Stille!" Der Engel sprang mit solcher Wucht auf, dass es den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, geradewegs nach hinten gegen die Spüle katapultierte. Ich starrte ihn ungeduldig an.
"Diese Stille hier ist die gleiche!" sagte er voller Überzeugung, als wäre er gerade durch dreitausend Zen-Mönche und den Papst persönlich erleuchtet worden.
Ich hatte mich inzwischen schon wieder der Tür zugewandt, im Glauben, es sei wohl das Beste, wenn ich diesen komischen Ausbruch ignorieren würde.
"Wenn du willst, kannst du ja mit zur Uni kom...." Der Kaffee stand noch unangerührt auf dem gleichen Platz, der Toaster langweilte sich immer noch, und der Schrank war wieder fest verschlossen. Ich drehte mich noch dreimal um, um den Effekt zu testen. Aber mein Engel war wirklich wieder verschwunden. Ich aß noch schnell ein Toast und verpaßte dann, wie immer, den Bus.

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